„Dies ist mein erster Roman, eine Autobiographie, aber auch ein Krimi.“

Herr Lich wird sich plötzlich gewahr, wo er ist – und dass es sich um keinen Traum handelt.

„Er basiert auf meinen eigenen Erlebnissen, der Roman. Das ist mir nämlich selbst passiert, als ich nämlich so um die 40 war. Oder so um die 42 herum.“

Herr Lich schöpft nach Atem.

„Verzeihen Sie, wenn ich mich wiederhole, ich glaub, ich hab grad so etwas wie einen Blackout und muss mich kurz sammeln! Das ist alles ganz neu für mich! Obwohl...“

Herr Lich räuspert sich so leise, wie er kann.

„Weiters inspirierte mich zweierlei, wovon mein Roman nur so protzt: Logik und Unlogik! Zum einen der Blackout, von dem wir’s grad hatten, wenn der Autor nämlich nicht weiter weiss, und zum andern das Ringen nach Worten... Es geht also darum, den Faden zu finden und den Faden nicht zu verlieren. Aber ums Nähen geht‘s natürlich nicht!“

Herr Lich blickt lachend auf und in die ernste Menge. Sein Lächeln gefriert.

„Viertens, falls ich mich nicht verzählt habe, hat mich schon immer das Mysteriöse interessiert, das auch in meinem Werk nicht zu knapp kommt! Manchmal hab ich mich selbst gewundert über das Mysteriöse in den Zeilen und zwischen ihnen, so dass man manchmal – oder hin und wieder und zuweilen – nicht weiss, woran man ist, weil ja alles so verzwickt ist, und welchem Zweck es dient, das Ganze, das Mysteriöse – und wohin es führt. Man fragt sich, wie alles zu einem logischen Ende kommen wird!“

Herr Lich legt eine schöpferische Pause ein, um das Gesagte zu unterstreichen.

„Zuvor, nachdem ich das gesagt habe, möchte ich allerdings noch meiner Frau, meiner Tochter und meinen zwei Söhnen danken, denen meine Geschichte sehr, sehr gut gefällt. Sie standen immer hinter mir, haben mich immer oder stets unterstützt! So. Ich lese sie Euch jetzt auszugsweise vor! Nämlich aus der Einleitung und dann aus dem ersten Kapitel, welches heißt: Am Fenster. Bitte verzeiht, wenn ich mich hin und wieder versprechen sollte. Ich mach das zum ersten Mal! Es ist mein erster Roman! Das Beste kommt eh erst am Schluss! Die große Überraschung! Der laute Knall! Die Pointe! Am Ende des Buches, ja, aber auch am Ende des Kapitels „Am Fenster!“ Wie bei jedem Kapitelende! Seien Sie gespannt! Sie werden begeistert sein! Danke!“

Herr Lich verharrt ein paar Momente lang, um Spannung zu erzeugen, und beginnt die Lesung.

Dies ist mein erster Roman, der auf meinen eigenen...

Herr Lich unterbricht sich und lächelt etwas verlegen in die Reihen der Zuhörerschaft des kleinen Lokals, das er für seine (erste) Lesung gemietet hat.

„Das habe ich ja bereits gesagt, nicht wahr? Also brauch ich es nicht unbedingt nochmal zu lesen!“

Herr Lich sucht eine Zeitlang, zwei, drei Dutzend Seiten überspringend, bis er zum Ende des Vorworts gelangt ist.

„Moment! Hier! Überschrift des ersten Kapitels: Das Fenster.“

Herr Lich lächelt.

„Ich bitte um Ruhe! Es beginnt, hören Sie!“

Herr Lich räuspert sich erneut, etwas vernehmlicher als beim ersten Mal. Kurz schaut er in die Menge und dann ins Buch.

Als er erwachte, wusste Herr Lich nicht sofort, wo er sich befand. Herr Lich saß am Fenster und schaute gedankenverloren hinaus. Es regnete in Strömen und hinter dunklen Wolken konnte man die Sonne nur erahnen. Er musste an diesem Fenster, das ihm so fremd erschien, an dessen Seite er soeben erwacht war, eingeschlafen sein. Zu welchem Gebäude gehörte es, wenn nicht zu seinem eigenen Hause? Mysteriös! Ach ja, es handelte sich natürlich um das Hotel in derselben Stadt, das er bezogen hatte, um endlich ungestört schreiben zu können. Er hatte sich die letzten Tage über einfach nicht konzentrieren, nicht die rechten Worte finden können. Alles hatte ihn abgelenkt, besonders die zwei Fußball spielenden Kinder vorm Hause. Und da hatte er sich gedacht, dass ein Tapetenwechsel Wunder wirken könnte, so wie es bei etlichen Schriftstellern der Fall gewesen war, die an einem Writer’s Block gelitten hatten. Dummerweise aber kannten ihn dort, im Hotel, der Besitzer, der Kofferträger und auch die Putzfrau und auch der Mann, der immer das Essen serviert – und sie ließen ihn mit ihren Fragen bezüglich des Buches kaum Zeit zum Schreiben desselben. Leider hatte es auch nur noch im ersten Stock freie Zimmer gegeben, so dass man draußen zwei Jungs Fußball spielen hörte und sah. Und jetzt saß er vor leeren Blätten, die zu füllen er gedachte, und rang noch immer nach Worten. Nun, das mit den leeren Blättern stimmt nicht ganz, denn die ersten zwei Sätze standen schon!

Herr Lich unterbricht sich, schaut kurz auf, doch ohne das Publikum zu sehen.

„Warum die ersten zwei? Finden Sie heraus, um welche es sich handelt!“

Herr Lich fährt fort:

Wie so oft in letzter Zeit, dachte er zurück. Er wollte sein Buch schreiben, aber draußen spielten Kinder Fußball, so wie vorm Hotel, und ließen ihn nicht nachdenken. Sein Blick folgte stets dem Ball. Dann aber schrieb er seinen zweiten Satz. Er lautete: „Herr Lich saß am Fenster und schaute gedankenverloren hinaus.“ So wie jetzt! Ein lauter Knall ließ ihn hochschrecken: Eins der Kinder hatte den Ball ans Fenster geschossen.

„Der laute Knall!“

Herr Lich öffnete das Fenster und schrie laut: „Geht gefälligst wo anders spielen, ich schreib gerade zufällig ein Buch!“ Übrigens saß er nicht vor seinem eigenen Fenster, sondern vor dem Fenster des Hotels. Dort passierte das mit den Kindern, die Fußball spielten.

„Oder war es doch vorm eigenen Fenster? Verzwickt! Mysteriös! Egal, gleich wird’s besser! Und logischer! Und das Ende ist der Hammer, der absolute Höhepunkt! Sie müssen nur noch etwas Geduld –“

Herr Lich blickt auf, Herr Lick blickt um sich. Da sind nur noch seine Frau und seine Tochter. (Die beiden Söhne sind Fußball spielen gegangen.)