VOR MIR DIE SINTFLUT

Widmung

Dich als Bruder zu haben, Alberto, ist mir zu hoch und Du bist mir noch immer ein Rätsel! Dein Herz ist so weit und so tief und so groß! Alle passen hinein! Das dürfen sogar Deine Feinde wissen, denn Du liebst Deine Feinde. Wenn Dir Dein größter Feind in einer Höhle machtlos ausgeliefert wäre, so würdest Du ihm, wie David dem Saul, nur heimlich eine Locke aus dem Haar schneiden, um sie ihm später als Beweis Deines guten Willens zu präsentieren. Wie David würdest Du um den Tod Sauls weinen, der stets Dein Verderben suchte, aber dem Überbringer der Botschaft würdest Du keinen Schaden tun. Für mich bist Du König David, das Schlechte, das er tat, nicht mitgerechnet. Deine Feinde aus dem Riesengeschlecht Goliaths können Dir nichts anhaben, weil Gott für Dich streitet. Und viele werden vor und neben Dir fallen, während Du bewahrt bleibst. Und Feinde werden Deine Freunde sein!

Vorwort

Hiermit mache ich meine Notizen publik. Kann man über die Welt reden ohne seinen Schöpfer? Kann man über die Mona Lisa reden, ohne Leonardo da Vinci zu erwähnen? Welch unbedeutendes Werk, verglichen mit der Schöpfung! Leonardo preist man in den Himmel! Es gibt zwei Wissenschaften, die des Guten und die des Bösen. Hattest Du etwa gedacht, Wissenschaft sei neutral? Was ist sie ohne ihren Begründer? Sie wird eine andere! Sie wird dunkel, führt ins Verderben!

            Diplome seien Papiere, die vom Winde verweht werden könnten, sagte meine Mama. Heute gelte man wenig ohne sie, doch Jesu Jünger hätten sie weder gehabt noch gebraucht. Ihr reines Herz sei ausreichend gewesen als Anerkennung vor dem Herrn. Wissen sei mehr als ein Blatt Papier. Weisheit könne sich an einem Diplom nicht rechnen lassen. Es sei nicht das Diplom, mit dem man Herzen erreiche. Das wahre Diplom sei Charakterbildung.

Es folgen Auszüge aus meinem Tagebuch, in denen besonders die etwas schrulligen, aber liebenswerten Professoren Hertz und Lorbeerblatt sowie mein Freund Armin und auch andere, allen voran der von mir hochgeschätzte Dr. Müller, auftreten.

3. Februar

Bei einem Vortrag über die Gefahren der Genmanipulation lerne ich Professor Hertz kennen, dessen einnehmendes Wesen mir gefällt. Schnell entwickelt sich ein Gespräch, das heißt, wenn man es so nennen kann, denn eigentlich redet nur er, bis jemand kommt und mir höflich zu verstehen gibt, ich könne den Professor nicht für mich allein vereinnahmen, es gebe schließlich auch noch andere Personen, die sich mit ihm unterhalten wollen. Der Professor lächelt und spricht mir eine Einladung aus.

12. Februar

Nach einigen Versuchen ist es endlich soweit und ich besuche den Professor.

„Zuallererst, ich bin kein Wissenschaftler!“ sage ich.

Was ich damit meine, fragt Professor Hertz, mir sei ein Verstand gegeben, ob nun durch einen direkten Eingriff Gottes oder den langsamen Weg der Evolution, das sei völlig egal, aber diese Tatsache könne ich nicht leugnen. Ich leugnete sie nicht, sage ich. Also sei ich ein Wissenschaftler. Zweifelnd schaue ich ihn an und er fragt, ob ich nicht wisse, dass sich für jede Lehre Menschen, also Wissende, fänden, denn alle Menschen seien letztlich Wissende, wie abstrus und verwirrend und falsch die in Frage kommende Lehre, erhaltene Erkenntnis oder Erfahrung auch sei? Jedoch könnte für sie, egal welche, eine Unmenge von Fakten oder vermeintlichen Fakten zusammengetragen werden, von denen zumindest einige sehr wissenschaftlich klängen. Das liege wohl daran, sage ich, dass auch eine falsche Hypothese oft einhergehe mit wahren Elementen, dass die Lüge niemals gänzlich als Lüge gekennzeichnet sei. Genau, sagt er, anders würde ein Mensch ja nicht auf etwas Verkehrtes hereinfallen. Der Teufel bediene sich dieser Tricks, damit er und seine Absichten nicht als teuflisch erkannt würden. Was er damit sagen wolle, belaufe sich auf folgendes: Für alles könnten Gründe genannt werden, seien sie nun richtig oder falsch, meistens klängen sie richtig und würden es umso mehr für die Person, die sich mit egal was auseinandersetze. Ob kritisch oder nicht, meistens könnten Beweise gefunden werden, besonders aber natürlich, wenn man sich nicht kritisch mit einer Sache auseinandersetze, sondern die Emotionen mitspielten.

„Wie bei der Schöpfungslehre zum Beispiel?“ sage ich.

„Bei der Schöpfung, bei der Evolution, überall!“ sagt Professor Hertz, mich in Augenschein nehmend. Jeder nenne sich kritisch, ob er es aber sei, sei eine gänzlich andere Sache. Der andere habe kritisch zu sein, weil ja der andere im Unrecht sei, darauf laufe es meist hinaus. „Was nun aber die Schöpfung betrifft, da würden sich die meisten Evolutionisten wundern, was alles für sie spricht, wenn sie ihr nur eine Chance gäben, sich zu äußern, aber das tun sie nicht, obgleich sie sich Wissenschaftler nennen. Sie sind nämlich überzeugt von der Evolution, geblendet von dem, was für sie zu sprechen scheint, stehen ihr nicht unkritisch gegenüber.“ Kein Geringerer als Goethe habe gesagt: „Theorien sind gewöhnlich Übereilungen eines ungeduldigen Verstandes, der die Phänomene gern los sein möchte und an ihrer Stelle deswegen Bilder, Begriffe, ja oft nur Worte einschiebt.“ Unter Evolutionisten gebe es einen Kampf, stetig etwas Neues entdecken und anderen Forschern voraus sein zu müssen, deren liebgewordene Erkenntnisse zu überflügeln, noch unglaublichere Zahlen zu nennen und all das dann exakte Wissenschaft zu nennen. „Allein schon diesen Kampf scheinen sie sich von der Annahme einer evolutiven Aufwärtsentwicklung abgeschaut zu haben. Während Erkenntnisse, seien sie nun richtig oder falsch, allenthalben wie Pilze aus dem Boden schießen, fußt man dennoch auf Annahmen, die oft weder beobachtet noch bewiesen sind!“ Aber sich bei solchen Ideen aufzuhalten, etwa den Thermodynamischen Hauptsätzen, fehle scheinbar die Zeit, denn man könne ja nicht zurückfallen; die anderen machten ja auch weiter. Schöpfungsläubige, so Professor Hertz, strahlten im Vergleich Ruhe und Frieden aus, was letztlich daran liege, dass sie an einen Gott der Ordnung glaubten, nicht des Chaos, ein Gedanke, der sie trage. Natürlich gebe es auch hier Streitereien über den Anbeginn, die es eigentlich nicht geben dürfe, schließlich ändere sich der Genesisbericht über die Schöpfungswoche nicht. Leider habe der Evolutionsgedanke Einzug gehalten. Aber im Idealfall komme es nicht darauf an, etwas beweisen zu wollen, von dem man keine Ahnung habe, weil es sich bei der Schöpfung ja nicht um einen Zufall handle, sondern Bestätigungen für alles gerade nicht Zufällige. Beides, Evolution und Schöpfung, seien jedoch Hypothesen und stellten, neutral gesehen, einen ebenbürtigen Ausgangspunkt für eine wissenschaftliche Arbeit dar, das wolle er nicht leugnen.

Verbrenne Holz, entstünden Asche und Wärme, eine Form der Ordnung sei in eine Form der Unordnung übergegangen. Chaos nehme zu, was jedes Experiment aufs Neue unterstreiche. Dabei spiele es keine Rolle, ob man als geschlossenes System einen Baum oder das gesamte Universum nehme. Die einzige Möglichkeit, aus Chaos Ordnung zu schaffen, sei ein Eingriff von außen. Der Entropie-Satz sei dann zwar weiterhin gültig, aber nicht anwendbar, weil es sich in diesem Fall um kein geschlossenes System mehr handle. Darwin lehre mit seiner Evolutionstheorie genau das Gegenteil: aus Chaos werde Ordnung, aus der Ursuppe käme primitives Leben und werde über dem Umweg des Affen oder irgendeines anderen Tieres zum Menschen. Das sei erwiesenermaßen unmöglich. Dr. Slusher, Dozent für Astronomie an der Universität Texas, habe sich gefragt, woher die Materie gekommen sei, die im Anfang explodierte? Er habe im übrigen festgehalten, dass die Geschwindigkeit der sich ausbreitenden Gaswolke viel zu hoch gewesen wäre, um eine Rotation in Gang zu setzen, wie wir sie heute kennen, welche wiederum notwendig sei, um Sterne und Planeten zu formen. Die Ordnung im Weltall mit in Beziehung zueinander stehenden Planeten und Monden und deren Bewegungsbahnen stelle einen Widerspruch zur Entropie dar, die gemäß der Thermodynamik, einem Gesetz, an dem sich nicht rütteln lasse, sage, dass keine Masse oder Energie neu, also aus dem Nichts, entstehen könne. Jedes System werde ohne äußeres Einwirken zu immer niedrigeren Formen der Ordnung führen, mit anderen Worten: das Energieniveau nehme stetig ab, während die Entropie zunehme. Da wir heute wüßten, sagt Professor Hertz – und er wolle sich vorsichtig ausdrücken, als Sterblicher das Ewige nur streifend –, dass sich Materie in Energie und Energie in Materie umwandeln lasse, und Gott Energie sei, könne sich ein Teil seiner Kraft natürlich auch materialisieren, was durch sein Wort geschehe. Das sei ganz menschlich ausgedrückt, weil unser Gehirn das alles gar nicht fassen und in Worte kleiden könne. Vielleicht müsse er sich auch korrigieren, denn Gott sei Geist und Herr über die Energie.

Das alles erinnere mich an fernöstliches Gedankengut, sage ich. Ein Mensch beschlösse, ein Guru zu sein. Eines Tages setze er sich hin und bewege keinen Muskel mehr, würde so über kurz oder lang zur Last der Familie. Er sähe nach innen, verbinde sich mit irgendeinem göttlichen Element, werde Teil des Weltalls, sagte man. Aber fütterte man ihn nicht und sorgte für seine irdischen Belange, käme Rettung also nicht von außen, stürbe auch er, der Entropie entsprechend, seinen Lebensodem aushauchend. Menschen seien eben keine Götter!